Es passiert nicht oft, dass ich mir einfach so ein neues Buch kaufe, aber hier ist es passiert. Der Titel The Sailor who fell from Grace with the Sea war so schön, dass ich einfach zugegriffen habe. Ohne Genre oder auch nur den Klappentext des Buches zu kennen. Ein Buch mit so einem Titel kann ja nicht schlecht sein. Oder?
Bevor ich dazu komme, erst einmal die Eckdaten: The Sailor who fell from Grace with the Sea von Yukio Mishima, ins Englische übersetzt von John Nathan, wurde 1963 unter dem Namen Gogo No Eiko erstmals in Japan veröffentlicht.
Triggerwarnung: Sex, Spannen
Inhalt
A band of savage thirteen-year-old boys reject the adult world as illusory, hypocritical and sentimental. When the mother of one of them begins an affair with a ship’s officer, he and his friends idealize the man at first; but it is not long before they conclude that he is in fact soft and romantic. They regard this disillusionment as an act of betrayal on his part – their retribution is deliberate and horrifying.
So steht es auf dem Klappentext und das hörte sich sehr interessant an. Auf keinen Fall die Art von Buch, das ich von alleine in die Hand nehmen würde, aber durchaus mit Potential. Aber wahrscheinlich merkst du schon, dass es nicht so bleiben konnte.
Die ersten paar Seiten
Die ersten paar Absätze des ersten Kapitels waren vielversprechend. Fusako, die Mutter des dreizehnjährigen Noboru, sperrt ihn als Bestrafung in sein Zimmer ein, weil er sich in der Nacht weggeschlichen hat. Schuld überkommt sie und sofort folgen wir ihren inneren Gedanken. Was wohl passieren würde, wenn ein Feuer ausbrechen würde? Könnte sie ihren Sohn noch rechtzeitig retten? Würde sie es schaffen, bevor sich das Holz im Rahmen so verzogen hätte, dass sie die Tür nicht mehr öffnen könnte?
Das alles sind wahnsinnig spannende Fragen, die Fusako sofort auf eine ganz faszinierende Art und Weise charakterisieren. Dann wechselt der Blickwinkel zu Noboru. In der typischen Wut eines pubertiernden Jungen wirft er ein paar Sachen durch sein Zimmer und findet dann durch Zufall ein Guckloch in seiner Wand. Ein Guckloch, dass ihn in das Zimmer seiner Mutter schauen lässt und von ihrer Seite nicht zu sehen ist …
Spannen, Sex und Ausreden
Und hier beginnt mein großes Problem mit The Sailor who fell from Grace with the Sea. Naja, nicht mit dem Buch. Mit den ersten paar Seiten, denn weiter bin ich nicht wirklich gekommen.
Shortly after he made this discovery, Noboru began spying on his mother at night, particularly when she had nagged or scolded him. […] On nights when she was gentle, he never looked.
– Seite 7
Erst einmal: Ja, du hast richtig gesehen. Wir befinden uns auf Seite 7 und Noboru hat es sich so zurechtgelegt, dass das Spannen in das Schlafzimmer seiner Mutter in Ordnung ist, solange sie ihm zuerst „Unrecht“ getan hat. Und tatsächlich könnte das auch eine interessante Charakterisierung von Noboru sein, wenn die Beschreibungen an dieser Stelle aufhören würden. Aber das tun sich nicht.
Er schaut seiner Mutter beim masturbieren zu (natürlich im Detail beschrieben, auch wenn Noboru nicht ganz versteht, was passiert) und untersucht aus der Ferne ihren nackten Körper von seinem Guckloch aus. Dabei sind die Beschreibungen weiterhin … sagen wir eindeutig aus männlicher Sicht beschrieben.
Her haughty breasts inclined sharply away from her body; and when she kneaded them with her hands, her rosy nipples danced apart.
– Seite 7 – 8
Er strengt sich außerdem sehr an, auch einen Blick zwischen ihre Beine zu erhaschen, aber das geht nicht, weil der Winkel von seinem Guckloch zu schlecht ist. Juhu.
Für ein paar Seiten haben wir eine Pause von Noboru und Beschreibungen seiner nackten Mutter. Es wird beschrieben wie die Mutter einen Seemann zum Abendessen mit nach Hause bringt als Dank, dass er Noboru über sein Schiff geführt hat. Noboru lässt sich natürlich nicht nehmen dem Leser zu sagen, wie schön seine Mutter ist. Dann bringt sie Noboru ins Bett, aber er hat eine Ahnung, dass etwas passieren wird, denn er bleibt bis nach Mitternacht (!) wach, bis er Geräusche aus dem Zimmer seiner Mutter hört.
Und naja, immerhin muss man Noboru zugute halten, dass er auch den Seemann von oben bis unten inspiziert.
Then Noboru gazed in wonder as, ripping up through the thick hair below the belly, the lustrous temple tower soared triumphantly erect.
– Seite 11
Dann schaut er ihnen beim Sex zu. Die Szene endet damit, dass Noboru „choked, wet [and] ecstatic“ ist. Was das bedeutet, kannst du dir sicher denken.
Im Kapitel danach wechselt die Perspektive zu dem Seemann, der in Gedanken den Sex mit Fusako mit seinem ersten Mal mit einer chinesischen Hure vergleicht. Und das liest sich genau wie bei Noboru mit sehr viel mehr Detail, als man jemals wissen möchte.
An dieser Stelle habe ich The Sailor who fell from Grace with the Sea dann aufgehört.
Fazit
Ich habe gelernt. Ich werde mir nur noch Bücher kaufen, bei denen ich mindestens weiß, worum es geht. Der Klappentext hört sich zwar immer noch nach einer spannenden Geschichte an, aber ich frage mich wirklich, was das Spannen von Noboru in dem Leser auslösen soll. Ich lese pure Erotik-Bücher zwar nicht, aber ich bin nicht kategorisch gegen Erotik-Elemente in Büchern. Aber auch in Erotik-Romanen sollten alle Beteiligten einverstanden sein, mit dem was passiert, und das war hier offensichtlich nicht der Fall.
Dazu kommt noch die Tatsache, dass Noboru *SEINE MUTTER* beobachtet hat. Das macht die Szenen schon direkt ekelig und unlesbar. (Und ich glaube auch noch nicht einmal, dass The Sailor who fell from Grace with the Sea ein Erotik-Roman sein soll. Zumindest nach dem Klappentext zu urteilen. Und das verwirrt mich irgendwie noch mehr.)
Wem kann ich dieses Buch empfehlen?
Das kann ich leider nicht beurteilen, weil ich das Buch nach den ersten 13 Seiten weggelegt habe, damit hat es auch meinen alten Rekord von dem frühsten Abbruch um 21 Seiten geschlagen (Milchschaumschläger von Moritz Netenjakob). Ich weiß nicht, ob sich der Schreibstil oder die Thematik verändert. Aber ausgehend von den ersten Seiten würde ich das Buch niemandem empfehlen.
Wenn es dich interessiert, wie man solche Spanner-Szenen schreiben kann, ohne die Leser direkt abzuschrecken, kann ich dazu einen Artikel vorbereiten.
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